Sabrina Dittus: Du bist Teil vom Black Earth Kollektiv. Kannst Du erläutern, wer Ihr seid, was Eure Agenda ist, und wie Ihr arbeitet?
Ellen Gomes: Ich habe die Gruppe nicht mitbegründet, sondern den Entwicklungsprozess von der Gruppenfindung bis zum Kollektiv beobachtet. Später habe ich Aufgaben in der Gruppe übernommen.
Am Anfang waren es Schwarze Studierende aus verschiedenen Studiengängen und Bundesländern, die sich bei Demonstrationen und Veranstaltungen zu Umweltthemen, die sehr Weiß dominiert waren, immer wieder trafen.
Der Wunsch, sich über die Kämpfe innerhalb und außerhalb der grünen Bewegung auszutauschen, ist mit der Zeit gewachsen. So stand am Anfang ein Netzwerk, aus dem heraus das heutige Black Earth Kollektiv entstanden ist.
Die Agenda ist sehr unterschiedlich, aber hauptsächlich geht es um Aufklärung zum Thema Umwelt-Intersektionalität, um Umweltgerechtigkeit und auch darum, Präsenz zu zeigen bei wichtigen Diskussionsrunden, bei denen bisher kaum oder keine BiPoc teilgenommen haben. Das Kollektiv bringt seine Inhalte in universitäre Veranstaltungen oder umweltaktivistische Gruppen ein, nimmt aber auch an Kunstprojekten teil und publiziert zu den Themen. Auch die Unterstützung von BiPoc-Umweltprojekten, die praxisorientiert sind, steht im Mittelpunkt unserer Arbeit. Vernetzung ist sehr wichtig. Es ist optimal, wenn Menschen in der Gruppe sind, die ihre eigenen Erfahrungen mit einem Thema haben und darüber sprechen können.
Mit welchen Hürden habt Ihr zu kämpfen?
Das Kollektiv steht für die Anerkennung der Stimme von BiPoc in Umweltdiskussionen. Das beinhaltet die Anerkennung, dass die Klimakrise im Jahr 1492 mit dem Kolonialismus und der Abholzung von Land im Globalen Süden begann, dass der Begriff Umweltungerechtigkeit die Belastung marginalisierter Gemeinschaften durch Umweltverschmutzung beschreibt und dass diese Gemeinschaften überwiegend BiPoc-geprägt waren und sind.
Die Mehrheit der von den Klimakrisen Betroffenen waren und sind BiPoc, die nie oder nur selten als Entscheidungs- oder Lösungsträger*innen in den Umweltdiskurs involviert werden. Gruppen wie Indigene, Migrant*innen, Schwarze, Frauen oder LGTB – sollten in alle wichtigen Entscheidungen einbezogen werden.
Das Kollektive steht unter anderem für mehr Solidarität mit Umweltaktivist*innen im Globalen Süden. Nicht wenige mussten für ihren Kampf mit dem Leben bezahlen. Und darüber wird zu wenig berichtet.
Der Titel unserer Veranstaltung lautete „Umweltgerechtigkeit“, dazu gehört ein anderer Begriff, der – anders als etwa in den USA – in Deutschland noch wenig verwendet wird, nämlich der des „Umweltrassismus“. Woher kommt dieser Begriff und was verstehst Du darunter?
Der Begriff entstand im Jahr 1982 auf Demonstrationen gegen die Entsorgung von Polychlorierten Biphenylen (PCB), einer giftigen Chemikalie, in der Stadt Afton. Die Stadt lag damals in einem der ärmsten Landkreise North Carolinas mit einem Schwarzem Bevölkerungsanteil von rund 65 Prozent. Der Rechtsstreit dauerte mehr als drei Jahre, in dieser Zeit wuchs die Zahl der Demonstrant*innen und mit ihr das Bewusstsein für diese und andere umweltpolitisch ungerechten Tatsachen, die überwiegend die Schwarze Bevölkerung betrafen. Die Demonstrant*innen waren die Ersten, die das Motto „We care about our future. Don’t harm generations“ benutzt haben.
Unter Umweltrassismus verstehe ich, dass der systematische Rassismus auch die Umwelt und die Lebensräume in der Stadt betrifft. Stadteile, deren Bewohner*innen mehrheitlich ein niedriges Einkommen haben, sind überwiegend diejenigen, die unter Lärm und schlechter Luftqualität leiden.
Deinen Input auf unserer Veranstaltung zum Thema trug den Titel „Was hat Umweltgerechtigkeit mit kolonialer Geschichte zu tun?“ …
Diese Frage ist wichtig, weil über den Zusammenhang dieser beiden Faktoren oft nicht nachgedacht wird. Meiner Meinung nach gibt es im Globalen Norden wenig Wissen über die koloniale Geschichte.
Aus einer kolonisierten Perspektive ist die Antwort logisch: Alles in der kolonialen Geschichte hat mit Umweltgerechtigkeit zu tun. Der Globale Süden hat sich kritisch mit dieser Frage beschäftigt, weil die Folgen der Kolonialgeschichte die Gegenwart der ehemaligen Kolonien stark beeinflusst. Die negativen Auswirkungen dieser Geschichte werden im Globalen Süden erlebt und die positiven im Globalen Norden.
Den Diskurs von Gerechtigkeit nur aus einer Weißen Perspektive zu betrachten, ist falsch, damit werden die am stärksten von Umweltungerechtigkeit Betroffenen nicht einbezogen. Deswegen ist es wichtig, die kolonialen Aspekte der Umweltkrise zu erkennen, um diese nicht weiter zu reproduzieren. Die koloniale Geschichte ist eine der Ausbeutung von Umwelt und Menschen, mit dem Ziel Konsum und Produktion zu schaffen.
Mit dem Kolonialismus wurden die ersten Wälder abgeholzt. Im Jahr 1452 wurden erstmals Schwarze Menschen auf den Zuckerrohrplantagen von Madeira versklavt, wenige Jahrzehnte danach war die Insel komplett entwaldet. Die Versklavung der Menschen und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen für den Profit von Wenigen im Globalen Norden ist die Grundlage des Dualismus, der unsere moderne Welt kennzeichnet: die Trennung der Menschen nach Ethnien und ein Verständnis von der Natur als primitives Material, das eine unendliche Quelle von Ressourcen darstellt. Dieser Dualismus dient den kolonialistischen Erzählungen als Rechtfertigung für die Ausbeutung von Mensch und Natur. Solche Narrative sind immer noch aktuell. Wenn wir die Umweltkrise als Chance für ein umweltgerechteres Handeln nutzen wollen, müssen wir die kolonialen Einflüsse in der Gegenwart erkennen.
Was haben Umweltrassismus und Klimakrise miteinander zu tun?
Die Klimakrise ist eine humanitäre Krise – echte Lösungen erfordern eine Abkehr von rassistischen, kapitalistischen, sexistischen Produktions- und Lebensweisen. Ziel des Klimaschutzes muss es sein, dass alle Menschen, Tiere und Pflanzen weiter existieren können. Dafür muss die Wirtschaft im Globalen Norden schrumpfen. Wir BIPoC – die im Globalen Norden beheimatet und sozialisiert sind (mit allen Privilegien, die damit verbunden sind) – müssen gegen Scheinlösungen kämpfen, denn diese folgen denselben westlichen Prinzipien, die uns überhaupt erst in die Krise gebracht haben. Wenn wir unsere Positionen nicht in den Diskurs einbringen, werden sie übersehen.
Die Klimakrise ist unter anderem eine Systemkrise, und Umweltrassismus ist ein Teil des strukturellen Rassismus. Die von Umweltrassismus betroffenen Communities in der Stadt und auf dem Land sind wegen der Verknappung natürlicher Ressourcen gezwungen, ihren Wohnort zu verlassen. Die Klimakrise wird uns alle in den kommenden Jahrzehnten das Ausmaß von Umweltrassismus noch stärker vor Augen führen. Der Zugang zu sauberer Luft, Wasser und fertilem Boden wird in den ärmeren Ländern des Globalen Südens immer eingeschränkter und Massenmigration stark zunehmen.
In unserer Reihe und Publikation geht es ja konkret um Berlin. Wo in Berlin kommt für Dich Umweltrassismus zum Tragen?
Berlin ist im Vergleich zu anderen Bundesländern die Heimat vieler Ausländer*innen und Migrant*innen. Ich habe schon in anderen Großstädten und anderen Bundesländern gelebt, und für eine nicht-deutsche Person ist Berlin die beste Stadt zum Wohnen. Weil hier schon viele andere Migrant*innen waren und sind, die Berlin vor mir zu ihrem Zuhause gemacht haben, fühle ich mich hier weniger fehl am Platz.
Umweltrassistische Strukturen in Berlin kann man zum Beispiel anhand der Unterschiede zwischen einzelnen Vierteln bezüglich ihrer Lebensqualität erkennen. In den Vierteln, wo sich nicht nur die Arbeiter*innenklasse und Hartz-4-Bezieher*innen konzentrieren, sondern zum Teil deckungsgleich mit diesen Bevölkerungsgruppen auch zahlreiche migrantische Communities, ist die Lebensqualität schlechter. Stadtteile wie Neukölln, Wedding und Friedrichshain sind am wenigsten grün und haben die höchste Anzahl an Bewohner*innen pro Quadratmeter. Sie sind von Lärm, Luftverschmutzung und schlechten Wohnbedingungen geprägt. Dort werden sehr nah an den Wohnhäusern neue Autobahnen gebaut und es gibt weniger Angebote für Kinder und Jugendliche. Diese Zustände sind der Kern von Umweltrassismus.
Was wären entscheidende Weichenstellungen, um eine Stadt der Zukunft, ein zukünftiges Berlin, umweltgerecht(er) zu gestalten?
Einige gesellschaftliche Gruppen können nicht sagen, was sie brauchen, weil sie wenig über ihre eigenen Rechte wissen. Nur wenn man weiß, was für Rechte man als Bürger*in der Stadt hat, ist es möglich, ein Bewusstsein dafür zu zu erlangen, was man innerhalb der Stadt verändern kann. Das ist der erste Schritt. Sobald ein Bewusstsein von einem selbst in der Umwelt, in der man lebt, etabliert ist, wird es möglich, diese Umwelt zu verändern. Damit werden Menschen Akteur*innen für Veränderung in den Räumen, in denen sie leben. Wichtig ist dann, dass sich kleine Gruppen organisieren und sich für bestimmte Themen einsetzen.
Wenn die Stadt genug Raum anbietet, um mögliche Ideen und Vorschläge zu überprüfen und einige in die Praxis umzusetzen, wird diese Stadt gerechter. Die Bewohner*innen wissen, was sie in der Stadt brauchen, um diese gerechter zu machen.
Das alles klingt erst einmal unmöglich, aber es kann mit einfachen Lösungen starten. Beispielsweise könnten Kitas und Schulen aus unterschiedlichen Bezirken, z.B. Grunewald und Neukölln, in Langzeit-Projekte zum Thema Umweltrassismus involviert werden.
Laut Berliner Senat nimmt Berlin mit seiner Umweltgerechtigkeitskonzeption bundes- und europaweit eine Vorreiterrolle ein, und tatsächlich beinhaltet diese Konzeption unterschiedliche Projekte für eine nachhaltige Entwicklung der Stadt. Doch eine spezifische Umweltbildung in leichter Sprache oder in anderen Sprachen wird nicht angeboten. Und im Umweltgerechtigkeitsatlas kommt das Thema Umweltrassismus überhaupt nicht vor.
Um eine gerechte Stadt zu gestalten, ist es wichtig, dass Minderheitsgruppen auch als ein zentraler Bestandteil politischer Pläne in der Stadt gelten.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft. Diese sind komplex, aber oft einfacher als wir denken. Wichtig ist es, eine Kultur der Toleranz auch gegenüber Fehlern zu schaffen. Wir wissen alle noch nicht, wie diese Klimakrise weitergeht, niemand hat die „eine Lösung“ dafür. Deswegen ist es wichtig, Ideen zu haben und diese in die Praxis umzusetzen. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, um weiter zu philosophieren, bis der perfekte Plan vor uns liegt.