Gemeine Stadt.

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Auf dieser Welt nicht Zuhause?

„Ich möchte nach Hause“, flüstere ich nachts in mein Kissen.
Meine Augen sind geschlossen,
meine Gedanken schon im Halbschlaf.
„Ich möchte nach Hause“, flüstere ich in die Dunkelheit
und bin doch eigentlich Zuhause,
in meinem Bett,
in meinem Zimmer,
in der Stadt, in der ich mich entschieden habe zu leben,
in dem Land, in dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin.
Aber so richtig wie Zuhause fühlt sich das alles nicht an.

I Kaltland

Oft sind es die kleinen Momente, die mich zermürben,
die meine Lebensfreude erwürgen,
sie sind Ausdrücke von Systemen,
denen Gerechtigkeit und Menschlichkeit fehlen.
Momente, die mir signalisieren,
dass ich falsch bin,
dass ich hier nicht willkommen bin,
dass ich hier nicht mein Zuhause ist.

Manchmal trau ich mich nicht mal aus der Tür rauszugehen,
bleibe lauschend an meiner Wohnungstür stehen.
Habe Angst vor dem rassistischen Nachbar,
mit dem kurzgeschorenen weißblonden Haar,
der mich verdächtigt, den Müll nicht richtig zu trennen,
der denkt, anhand meines Aussehens, den Inhalt meiner Mülltüte zu kennen.
Angst, vor seiner Fratze auf der Suche nach Streit,
die mich mit schriller Stimme hasserfüllt anschreit.
Für den Nachbar bin ich der Störfaktor in seinem arisch-deutschen Idyll,
für ihn bin ich der Müll,
der nicht richtig entsorgt wurde.

So oft habe ich Angst.
Angst, mit der ich versuche zu leben,
die Alternative wäre, schon wieder auf Wohnungssuche zu gehen.
Wohnungssuche ist wie eine Lotterie, bei der ich nur verlieren kann:
Werde ich rassistische Nachbar*innen haben?
Vermieter, die sich nicht kümmern, wenn Mäuse in den Wänden nagen?
Auf mich wartet nur:
befristetes Wohnen,
keine guten Optionen,
kaum bezahlbarer Wohnraum und trotzdem so viel Leerstand,
Umzug nach Umzug wird zum Dauerzustand.
Wohnungsbesichtigungen mit etlichen anderen Interessierten,
auf der Suche nach einem Zuhause, mit tränenverschmierten
Papieren in den nervösen Händen,
hoher Andrang, trotz Löcher in den Wänden.
Verzweiflung auf den Gesichtern,
diskriminierende Entscheidungen von weißen Schiedsrichtern,
die darüber richten, wer ein gutes Zuhause verdient und wer nicht:
keine Chance, wenn du kein weißes Hetero-Pärchen mit doppeltem Einkommen bist.
Gentrifizierung,
Ausbeutungsnormalisierung,
Arrangements in unpassenden Zweck-WGs,
weit über dem bezahlbaren Budget.
Kein Mietvertrag,
Schimmel im Bad,
Wohnen im Schuhkarton,
kein Geld zum Heizen in der kalten Saison.
Kein sicheres Zuhause in Sicht,
der Markt regelt das für marginalisierte Menschen auf jeden Fall nicht.

Manchmal trau ich mich nicht mal meine Bedürfnisse auszudrücken,
über die Tücken
vom chronisch Kranksein zu erzählen,
wie Barrieren mich quälen,
mich vom Rest der Welt isolieren,
sich meine Gedanken dadurch in Bitterkeit verlieren.
Manchmal brauche ich, dass alles ein bisschen langsamer ist,
wenn Produktivitätswahn meinen Körper zerfrisst.
Ich möchte nicht mehr an Arbeit zermürben,
stattdessen möchte ich dürfen,
möchte auf meinen Körper hören,
wenn Schmerzen meine Leistungsfähigkeit „stören“.
Möchte nicht mehr als „faul“ für meine Müdigkeit verurteilt werden,
wenn mein Körper sich anfühlt, als würde er gleich sterben.
Möchte für mehr wertgeschätzt werden, als das, was ich geben kann,
wenn nichts mehr geht und ich einfach nicht mehr weiter kann.
Aber ich möchte auch nicht von paternalistischen Systemen abhängig sein,
denn dort ist Hilfe nur ein Schein.
Ich möchte meine Autonomie behalten,
meine Angelegenheiten selber verwalten,
meine eigenen Entscheidungen treffen,
für mich sprechen, in Situationen, die mich betreffen.
Aber anscheinend ist das zu viel verlangt?
Darf nur Hilfe brauchen, wenn jemand Anderes über mich bestimmen kann?
Teilhabe und Solidarität,
gibts nur, wenn du nichts brauchst und du niemanden mit deinem Dasein auf die Nerven gehst.

Manchmal trau ich mich nicht mal in der Öffentlichkeit Liebe zu zeigen,
einer cuten Person sanft über die Wange zu streicheln.
Wir laufen Hand in Hand,
den Park entlang,
bis uns eine Gruppe Männer entgegenkommt
und sich Angst in unseren Gedanken formt.
Unsere Hände trennen sich,
Angst bildet sich zu einem dunklen, bedrückenden Käfig,
der unsere Freiheit limitiert
und die Schönheit unserer Queerness mit Hass beschmiert.
Es ist Pride Month und in den Geschäften wehen Regenbogenfarben,
unsere Narben
werden unsichtbar gemacht und zu einer Party stilisiert,
unsere Kämpfe und Traumata zu glitzernden Einhörnern frisiert.
Es wird sich mit bunter Vielfalt gebrüstet,
aber sogenannte Allies sind maximal nur performativ entrüstet,
wenn konservative Politiker unsere Wohlergehen gefährden,
wir mal wieder beleidigt, angegriffen und ermordet werden.
Mal wieder schreitet niemand ein,
steht uns bei,
verteidigt unsere Würde,
beseitigt bürokratische Hürden,
damit wir so leben können, wie wir leben wollen,
ohne Fremdbestimmung und übergriffige Kontrollen.
Stattdessen müssen wir unaufhaltsam
organisieren,
mobilisieren,
uns nicht in Krisen verlieren,
jede Minute unseres Lebens kämpfen,
gleichzeitig versuchen, nicht daran zu zerbrechen,
wenn unsere queeren Geschwister sich entscheiden, ihr Leben zu beenden,
und nur unser Zusammenhalt es schafft, uns ein kleines bisschen Trost zu spenden.

Und da sind sie, die großen Momente, die mich verzweifeln lassen,
die dazu führen, dass ich nicht anders kann, als Deutschland zu hassen,
weil Gewalt gegen uns nicht gesehen wird,
Hassgewalt ignoriert, kleingeredet, geschürt,
bis jemand ermordet wird.
Und selbst dann …
Neun migrantisierte Menschen von einem Nazi in Hanau erschossen,
die Einen in Angst von rassistischer Gewalt betroffen,
die Anderen zur gleichen Zeit, beim Karneval, ausgelassen besoffen,
in ihrer Ignoranz badend,
entschieden nichts ahnend,
von der Lebensrealität ihrer migrantisierter Mitmenschen getrennt,
weil sie nur interessiert, wenn ihr Besitztum brennt,
aber nicht wenn wir ermordet werden,
durch die Hände weißer Deutscher und vor allem Polizisten sterben,
und ich möchte schreien,
schreien,
schreien,
weil unsere verzweifelten Hilferufe einfach nicht gehört werden.

Faschismus schreitet mit donnernden Schritten voran,
aber für die Meisten hört sich das wie kaum wahrnehmbares Schleichen an,
sie tragen ihre mehrfach-privilegierte rosarote Brille,
begegnen Gewalt und Ungerechtigkeit mit entschiedener Stille,
sie sehen nicht, wie ihre Tatenlosigkeit und Schweigen das Leben so vieler bedrohen,
und hier bestätigt sich mal wieder: Wegschauen ist deutsche Tradition.

Ich wünsche mir Akzeptanz,
aber selbst Toleranz
ist für die Meisten schon zu viel zu geben,
sie haben alles,
aber sind zu kleinlich,
zu neidisch,
zu feindlich,
um zu teilen und ein bisschen Güte und Wärme zu geben,
anstatt auszubeuten und immer nur zu nehmen, zu nehmen, zu nehmen.

Wie kann das hier jemals mein Zuhause sein?

II Community Räume

Meine Vorfahren haben weite Seereisen auf sich genommen,
in der Hoffnung in einem Land, das ein besseres Leben verspricht, anzukommen.
Haben liebste Menschen und Vertrautheit zurückgelassen,
um in einem Land anzukommen, wo die meisten ihre Anwesenheit hassen,
wo jedes Familienmitglied sich den Rücken kaputt arbeitet,
von schmerzlicher Sehnsucht nach Zuhause kontinuierlich begleitet.
Sie haben sich trotzdem entschlossen, hier zu bleiben,
für die nächste Generation hoffend, auf bessere Zeiten.
Aber auch ich bin hier irgendwie verloren,
zwischen Ländergrenzen, Gendervorstellungen und Gesellschaftsnormen.

Ich suche
und suche
und suche
nach diesem mystischen Ort,
nach „Zuhause“, dieses ungreifbare magische Wort.
Ich suche, während ich durch die Straßen laufe,
während ich mir Tofu im Asia-Supermarkt kaufe.

Ich suche nachts in meinen Träumen,
während ich durch phantastische Landschaften streune.
Ich suche in liebevoll lächelnden Gesichtern,
in Theater, Kunst und Worten von migrantischen Dichtern.
Suche nach Vorreiter,
Mitstreiter,
Begleiter,
für meine Verlorenheit,
in meiner heimatlosen Einsamkeit.

Das erste Mal in einem QTIBIPoC Raum,
fühlte sich an wie ein unmöglichster Traum,
das erste Mal so richtig ausatmen,
loslassen in akzeptierenden Armen.
Schultern fallen lassen,
Schutzmauern verblassen,
umgeben von den funkelnden Lichtern
meiner QTIBIPoC Geschwister.
Zu sehen und gesehen zu werden
sich in Verstanden-werden zu erden,
zu verstehen, dass wir nicht alleine sind,
dass wir so, wie wir sind, nicht falsch sind,
dass gesellschaftliches Gaslighting uns Verbindungen nimmt
und unsere Einsamkeit mit Anfeindungen von Anderen beginnt.
Hier lernen wir uns selber zu lieben,
zu heilen von den schmerzvollen Hieben,
die versuchten uns unsere Queerness auszutreiben,
die versuchten uns cis-hetero in die Seele zu schreiben.
Hier finden wir raus, wer wir wirklich sein wollen,
trotzen den Normvorstellungen, wie wir leben sollen.
Hier weinen wir zusammen, wenn wir trauern,
bauen Beziehungen auf, die für die Ewigkeit andauern.
Hier träumen wir, tanzen und lachen gemeinsam,
Liebe, Care und Essen ist heilsamer Balsam,
für unsere Seelen,
die zu lange in Einsamkeit angstvoll bebten,
die zu lange in Dunkelheit verloren schwebten.

Hier bin ich das erste Mal, dem Gefühl von Zuhause am nächsten gekommen,
bin für ein paar Atemzüge an die Oberfläche, des bodenlosen Sees der Verlorenheit geschwommen.
Doch auch hier tragen wir das Gewicht unserer Struggle,
isolieren uns in einer fragilen Bubble,
weil das Leben außerhalb sich manchmal nicht aushaltbar anfühlt,
weil ununterbrochen Krise nach Krise unsere Leben durchwühlt.
Strukturelle Diskrimierung verwehrt uns Ressourcen,
erschöpft uns mit immer gleichen rassistischen,queerfeindlichen Diskursen.
Zu oft verletzt, verstoßen, ausgebrannt,
Trauma nach Trauma raubt uns nach und nach den Verstand.
Uns fehlt es an zu vielem:
Orten zum Treffen,
um Pläne auszuhecken,
ein Selbstbestimmungsgesetz, das uns schützt,
das unserer Autonomie und Freiheit nützt,
offene Grenzen für alle,
anstatt der tödlichen Frontex-Falle.
In manchen Momenten sprechen wir davon, dass wir das Leben in Deutschland nicht mehr aushalten,
wollen hier weg, wollen zu einem Ort mit mehr Sicherheiten.
Wir fragen, wo auf der Welt wir hingehen können,
stellen uns vor, wie wir unsere Sachen packen und einfach davon rennen.
Aber Kolonialismus hat Queerfeindlichkeit und White Supremacy in alle Ecken der Welt getragen,
kein Schutz für Menschen wie uns ist ein globales Versagen.

Wo können wir dem entfliehen?
Sind wir nirgendwo auf der Welt Zuhause?

III Hoffnungsvolle Träume

Ich versuche an den Momenten festzuhalten, in denen ich Hoffnung finde,
auch wenn ich in Depressionen und Trauer ertrinke.
Ich versuche aktiv zu träumen,
mich gegen dystopische Ängste zu sträuben.
Ich versuche an den guten Momenten festzuhalten,
jeden Moment der Freude kurz anzuhalten.
Jede Glimmer,
jede Schimmer,
die das Leben durchfließen
zu genießen.
Wenn mir alles zu viel wird, gehe ich in meinen Träumen in meinen Garten,
bewundere die vielfältigen wachsenden Pflanzenarten,
wandere mit meinen nackten Füßen über eine weiche Wiese,
auf der ich mich ausruhe und das Existieren genieße.
Ein Ort, an dem ich einfach nur sein kann,
so simpel, so einfach, aber in der realen Welt zu viel verlangt.
Ich lausche dem freundlich plätschernden Bach,
der Sternenhimmel bildet ein funkelndes Dach,
unter dem ich friedlichen Schlaf finde
und mich nicht mehr in nass geschwitzten Alpträumen winde.
Ich lade Freundinnen ein,
wir erzählen uns Geschichten im Lagerfeuerschein.
Aus liebevollen Umarmungen und Freude bauen wir schützende Gebäude,
die uns unseren Ballast abnehmen und uns Heilung gönnen,
die uns tragen und uns Ruhe bringen können.

Hier schöpfe ich Kraft um weiter zu gehen,
in Community streben wir nach einem besseren Leben.
Ich schöpfe Kraft aus meinen kämpferischen Geschwistern,
wir bauen das Morgen, ehren die Kämpferinnen von Gestern.
Wir prangern an, wir fordern, wir ändern,
machen Pläne, probieren aus, verbessern.
Wir haben gelernt, dass uns nichts einfach so gegeben wird,
dass nichts ohne Kämpfe zum Positiven geändert wird.
Wir träumen, weil wir daran glauben, dass diese Welt besser sein kann,
ein Zuhause für Alle, ein Neuanfang.