Gemeine Stadt.

Kollektive

Don’t kill your Kompliz:innen

Caca Savic

Anm.: In diesem Text spreche ich im Speziellen über Künstler:innenkollektive aus individueller Perspektive.

Wenn ich über Kollektive nachdenke, dann schwingen Begriffe wie Kompliz:in oder Mittäter:in mit. Künstlerische Prozesse sind aus sich heraus keine kriminellen Handlungen, aber dass Kollektive, hier insbesondere Künstler:nnenkollektive, etwas Unerwartetes, gar etwas Verbotenes tun könnten, gefällt mir. Der Begriff Kompliz:innenschaft führt kollateral zu künstlerischen Konspirationen, die ein gemeinsames Atmen ermöglichen. Diese könnten avantgardistische Antworten auf ästhetische Formfragen sein und geben. Künstler:innenkollektive arbeiten als hierarchiefreie Gemeinschaften gegen die Vereinzelung der Individuen an, wie die Performancegruppe She She Pop.

Mein Schreibprozess ist ein Befragungsprozess. Ein Verhör unter grellem Licht, auf harten Stühlen und an wackeligen Tischen. Ich sitze zunächst einer Chimäre gegenüber, überprüfe ihre Standfestigkeit, zerre an den Alibis und Motiven und nehme mir das unplausibelste vor.

Ein künstlerischer Prozess findet in Einzelkammern der Autor:innen statt. Er ist aber immer auch im Kontext stehend, ein Austausch mit anderen Autor:innenschaften. Solche Wechselwirkungen kann die Arbeit eines Künstler:innenkollektivs erzählen, es macht die Auseinandersetzung zum Werk sichtbar.

Das vermeintlich virtuose Können einzelner Autor:innen braucht nicht weiter erforscht werden, man findet es in den erwähnten Kammern. Weitaus interessanter sind doch die Stolpersteine, Knackpunkte, Wirrnisse, die eine Autor:innenschaft begleiten. Entlang dieser Stolpersteine kann man in Kollektiven Formen neuer Autor:innenschaften versuchen. Das ist kein Therapieren, sondern ein künstlerisches Experimentieren anhand mitgebrachten Materials aus der Selbstbefragung jeder Einzelnen, wie bei She She Pop beispielsweise. Aus diesem Material entwickelt das Kollektiv Texte, Bilder, Interventionen und Aktionen.

Die Arbeit in vielschichtigen und vielstimmigen Gruppen ist eine intensive Auseinandersetzung mit hohem Tempo. Sie erfordert häufig schnelles Reagieren, erlaubt in der Debatte erstmal keine Ruhe. Solche Momente des Ping-Pongs können im kollektiven Setting anstrengen und Verunsicherungen erzeugen, bedürfen Offenheit und Vertrauen, aber auch Lust am sich Ausprobieren und die Bereitschaft, Forschungsergebnisse künstlerisch zu verwandeln und mit ihnen zu spielen.

kollegial, kursiv, kollektiv, kollektor, kollateral, kontext

She She Pop erklären, dass die Autor:in per se eine zersplitterte, fragmentierte künstlerische Subjektivität sei und im Künstler:innenkollektiv das mitgebrachte Material offen zur kollektiven Bearbeitung bereitläge. Dabei würden die Fragmente solange verknetet, verfremdet, bis die Performer:innen austauschbar seien und es keine Eindeutigkeiten mehr gebe.

Im Gegensatz zur Kollektivarbeit steht die Teamarbeit, die sich in vielen Berufen bewährt, aber keineswegs experimentell sein soll. Sie dient der betriebswirtschaftlichen Verbesserung, im Sinne wie: Die Arbeitszeit muss effizienter geteilt werden oder der Output gesteigert und die Performance optimiert werden. Künstler:innenkollektiven geht es immer wieder aufs Neue um Formen der Zusammenarbeit, um jene innerhalb eines Kollektivs, aber mitunter auch um die zwischen Künstler:innen und ihrem Publikum. Die Autor:innenschaft wird geteilt und so vom Zwang der Eindeutigkeit befreit. Erfahrungen der Einzelnen werden zerschnitten und collagiert, nebeneinander montiert.

Ich baue Figurenräume, setze sie in weitere Räume ein, lasse mich leiten, von einer Stimme zur nächsten. Dabei verliert die Autorin häufig die erste Idee, aber inzwischen weiß sie, dass das die Methode sein könnte, wie sie im Unwissen, später in Ahnung zu einer vorerst letzten Idee gelangt.

Vorerst deshalb, weil ein Text nie fertig wird, selbst dann, wenn er geschrieben ist, wie Diedrich Diederichsen sagt.1René Pollesch: Kill Your Darlings, Stücke, mit einer Laudatio von Diedrich Diederichsen, Hrsg. Nils Tabert, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2014. Nicht nur die Lesung vor dem Publikum, sondern auch die Erfahrung eines Lesenden wird für die Autorin ein weiterer Schritt des Her-Stellens. Und dabei geschieht nach der vorausgegangenen Zersplitterung der einzelnen Erfahrungen eine Umlagerung, eine Verkomplizierung im guten Sinne.

Man könnte annehmen, dass dies zum Verrücktwerden führt, vielleicht manchmal, aber nicht unbedingt. Es soll hier gezeigt werden, dass solche Techniken des Verschwindenlassens des Einzelnen zugunsten der Gruppe der Neugierde und Spiellust von Autor:innen geschuldet sind, die Kompliz:innen werden und kreative Prozesse entwickeln, ohne einem betriebswirtschaftlichen Sinn folgen zu müssen. Diese Kompliz:innen finden einander, können nicht gesucht oder rekrutiert werden. Es gibt keine vorherrschende inhaltliche Idee, die im Angebot oder verkäuflich wäre. Ideen entstehen, wenn die Kollektivprozesse starten, und entwickeln sich immer weiter. So gesehen ist ein Künstler:innenkollektiv nie fertig, es fügt einen Zwischenstand an den anderen.

Kollektivarbeit bedeutet, Einzelpositionen zu hinterfragen, sie sogar zu verlassen.

„Nicht Freiheit ist die Voraussetzung dieser Kunst, sondern Unfreiheit“2She She Pop: Sich fremd werden, Drei Beiträge zu einer Poetik der Performance Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik 2018, Hrsg. Johannes Birgfeld, Alexander Verlag, Berlin. Das ist ein Grund, warum Kollektive in den darstellenden Künsten relativ häufig vorkommen. Theaterarbeit besteht aus dem Spiel mit Rollen und Identitäten, mit fragmentierten Autor:innenschaften.

Im Tanz um mich selbst und auch in mehreren Reigen gleichzeitig weiß ich nicht, welcher Schritt dem anderen folgt. Alle unverständlichen Stimmen, die im gleichen Chor Lieder singen, in einen Kanon hineinspringen und wieder aus ihm hinausspringen können, vervielfältigen sich und lassen den Klangkörper platzen.

Die Dichterin soll das Gedichtete wieder entdichten, erweitern und interpretieren, in Zusammenhänge stellen und erklären.

Kollektive an sich haben einen performativen Charakter. Ihre soziale Zusammensetzung ist Basis kollektiven Könnens. Ist das Kollektiv erst einmal gegründet, arbeitet es auch. Es tritt in eine Handlung, nicht in ein Sich-Verhalten, das nur auf gesellschaftliche Normierung abzielt.3Hannah Arendt: Mensch und Politik, Reclam, Reclam, 2017. Die Performer:innen verlagern ihren Möglichkeitsraum in den Möglichkeitsraum des Kollektivs, dabei das Publikum mitdenkend. Aus einer ursprünglich gestellten Frage entwickeln sich immer mehr Fragen, Abwandlungen und Steigerungen der Ausgangsfrage, die von Einzelnen allein nicht gedacht würden.

Das Kollektiv kann sich verändern, mal stärker oder schwächer sichtbar sein, nur verschwinden wird es nicht mehr. Selbst eine Auflösung ist nur eine weitere performative Aussage. Die Möglichkeit, ein Spiel unter solidarischen und nicht-hierarchischen Voraussetzungen weiter und weiter zu treiben, ist die Freiheit innerhalb eines Kollektivs, das ermöglicht, Unerwartetes zu erwarten.

Kollektive an sich haben einen performativen Charakter. Ihre soziale Zusammensetzung ist Basis kollektiven Könnens. Ist das Kollektiv erst einmal gegründet, arbeitet es auch.

Fußnoten