Städte klingen. Das tun sie immer und in jeder Situation. Sie brausen und rauschen; manchmal sind sie enervierend laut, ein anderes Mal andächtig still. Der Klang von Städten kann eintönig sein oder aber lebendig und aufregend. Ein besonderes Merkmal ist gerade seine Vielgestaltigkeit.
Wenn jedoch über Stadtklang gesprochen oder geschrieben wird, dann steht meist nur der Lärm im Vordergrund. Und das ist tatsächlich kein neues Phänomen. Der Philosoph und frühe Anti-Lärm-Aktivist Theodor Lessing schrieb schon 1908 in seinem Buch „Der Lärm: Eine Kampfschrift gegen die Geräusche unseres Lebens“:
Auch wenn sich bestimmt jede und jeder von uns das eine oder andere Mal mit der Geräuschkulisse der städtischen Umwelt schwertut, Städte lärmen nicht nur. Ihr Klang ist bei weitem nicht nur belästigend. Er ist sogar wichtig für unser städtisches Leben und Erleben. Er dient zum Beispiel unserer Orientierung im urbanen Raum: Wir hören, wo sich Menschen um uns herum aufhalten und bewegen, und wir bekommen mit, was sie machen. Oder wir hören, wenn sich uns ein Fahrrad oder Auto nähert. Wir erfahren durch das Hören außerdem, ob wir uns in einer engen Gasse oder auf einem weiten Feld befinden. Mittels des Nachhalls bekommt der Raum um uns herum eine Gestalt.
Der Klang der Stadt ist überdies mit unserem Wohlbefinden verknüpft. Man denke zum Beispiel an das fröhliche Zwitschern der Vögel in den Büschen, das sanfte Rauschen der Blätter im Wind oder an den heiteren Trubel eines belebten Platzes im Sommer. Der Stadtklang hat seine eigene Schönheit. Vereinzelt wird und wurde das auch schon gewürdigt. So zum Beispiel vom Architekten August Endell, der unter anderem die berühmte Fassade des ersten Hofs der Hackeschen Höfe in Berlin-Mitte gestaltet hat. Er machte, ebenfalls bereits 1908, in seinem kleinen Büchlein „Die Schönheit der großen Stadt“ auf die Reize der städtischen Geräusche aufmerksam. Er schrieb:
Relevant ist der Stadtklang nicht nur wegen der Orientierung oder des Wohlbefindens, sondern auch, wenn es um kulturelle und soziale Zugehörigkeit geht. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Sprache. Viele Menschen empfinden heimatliche Verbundenheit, wenn an einem Ort in der eigenen Sprache oder sogar mit demselben Dialekt gesprochen wird. Daneben kann ein eher fremdes Idiom zwar einerseits neugierig machen, aber es kann andererseits auch irritieren und sogar ausschließend wirken. Musik im öffentlichen Raum spielt mitunter eine ähnliche Rolle. Abhängig vom Genre und vom kulturellen Ursprung kann sie als integrierend oder aber auch als ausgrenzend erlebt werden.
Im Zusammenhang mit der kulturellen und sozialen Zugehörigkeit sind zudem Geräusche zu nennen, die von städtischen Aktivitäten, Ereignissen und Einrichtungen herrühren und die häufig mit besonderen Gepflogenheiten verbunden sind: Während hierzulande zum Beispiel das Läuten von Kirchenglocken zum akustischen Stadtbild gehört – wenngleich etwas weniger selbstverständlich als früher –, erklingen in anderen Ländern mehrmals täglich die Gebetsrufe der Muezzine. Weit profaner, aber ebenfalls landestypisch und präsent im städtischen Alltag sind die jeweiligen Sirenen der Einsatzfahrzeuge. Mancherorts existiert eine etablierte „Draußenkultur“ mit Straßencafés oder mit zahlreichen Straßenhändler:innen, so dass die damit verbundenen Klänge das akustische Umfeld dominieren. Andernorts finden viele Aktivitäten eher in Innenräumen statt. Der Außenraum ist dann klanglich entsprechend ärmer. In einigen Kulturen und Städten ist es üblich, sich im öffentlichen Raum lebhaft und durchaus auch lautstark zu unterhalten. In anderen Regionen üben sich die Bewohner:innen diesbezüglich wiederum eher in Zurückhaltung. Der Klang der Stadt ist immer auch identitätsstiftend und die Beispiele lassen erahnen, wie sehr das kulturelle und soziale Zugehörigkeitsgefühl mit der eigenen Hörbiografie verbunden ist.
Das Schwerpunkthema des 4. Teils der Veranstaltungsreihe „Gemeine Stadt – Berlin gemeinsam gestalten“, zu dem dieser Text erscheint, ist Umweltgerechtigkeit. Es stellt sich die Frage, inwieweit der Klang der Städte hierbei eine Rolle spielt. Natürlich fällt einem da zunächst einmal die Belästigung durch Lärm ein. Und in der Tat ist es in Hinblick auf Umweltgerechtigkeit notwendig, zu untersuchen, wer Lärm ausgesetzt ist und wer nicht – und umgekehrt, wem ruhige Orte zugänglich sind und wem nicht.
Aber das Thema der Umweltgerechtigkeit sollte im Zusammenhang mit dem Stadtklang noch weitergedacht werden. Denn, wie schon erwähnt, es gibt nicht nur Lärm und Ruhe. Der Klang der Stadt hat auch eine kulturelle sowie soziale Dimension. Hören bedeutet am städtischen Leben teilhaben. Eine solche Teilhabe durch das Hören ist jedoch nicht allen vergönnt. Ältere Menschen beispielsweise, die in reinen Wohngebieten leben und nicht mehr erwerbstätig sind, finden werktags ein weitgehend verlassenes und klanglich ödes Wohnumfeld vor. Es ist fast so, als wären diese Menschen vom Leben abgeschnitten. Letztlich trägt eine solche „menschenleere“ Klangumwelt zur sozialen Isolation bei.
Eine konträre Situation, die jedoch ebenso die Teilhabe am städtischen Leben durch das Hören einschränkt, erleben mitunter sehbehinderte Menschen im Straßenraum. Dort sind sie mit Verkehrsrauschen konfrontiert, das wie ein akustischer Nebel wirkt: Es verwischt alle klanglichen Konturen und engt den Hörraum extrem ein. Da sehbehinderte Menschen besonders vom Hören abhängen, sind sie im erhöhten Maße betroffen. Ihnen wird durch das Verkehrsrauschen der Zugang zur städtischen Umwelt erschwert.
Teilhabe am städtischen Leben betrifft aber nicht nur das Hören, sondern auch das Gehörtwerden. Hierbei geht es darum, wer wann und wo Klang produzieren darf, und somit gehört wird, und wer nicht. Es ist noch nicht lange her, da wurden in Deutschland die Geräusche auf Spielplätzen wie Straßenlärm bewertet – und zwar nach dem Schalldruckpegel. Die Stimmen und das Toben der Kinder galten ab einem bestimmten Pegel als „schädliche Umwelteinwirkung“. Die Rechtslage hat sich zwar mittlerweile zu Gunsten der Kinder geändert. Jugendliche hingegen sind immer noch allzu oft benachteiligt, wenn es darum geht, im öffentlichen Raum klanglich präsent zu sein. Auch andere Gruppen haben es schwer, in der Stadt gehört zu werden, da es für sie große gesellschaftliche Hürden gibt. Die sehr emotional geführte Debatte um Muezzin-Rufe ist ein gutes Beispiel hierfür. Obwohl es kein offizielles Verbot gibt, sehen die meisten muslimischen Gemeinden davon ab, öffentlich zum Gebet zu rufen. Die Ablehnung durch große Teile der Bevölkerung ist letztlich zu vehement.
Klang ist Teil unseres städtischen Lebens. Wir erschließen uns unsere urbane Umwelt immer auch hörend. Im Verbund mit den anderen Sinnen entsteht durch das Hören unsere städtische Wirklichkeit. Doch der Klang der Städte wird bislang nicht bewusst gestaltet – lediglich dem Lärmschutz wird einige Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist daher weitgehend dem Zufall überlassen beziehungsweise abhängig von Entscheidungen auf anderer Ebene, wie unsere Städte klingen. Das kann im Einzelfall gelungen und gerecht sein. Allzu oft widerspricht das, was wir hören jedoch unseren Vorstellungen, wie das Leben in der Stadt sein sollte – sei es, da das Klanggeschehen unpassend oder unschön ist, sei es, da wir uns durch den Klang unwohl fühlen oder sei es, da einzelne Gruppen durch die jeweilige Klangordnung benachteiligt oder ausgeschlossen werden.
Eine bewusste Stadtklanggestaltung, die verantwortungsvoll und umsichtig erfolgt, tut daher not; eine, die einen Rahmen für Klangumwelten schafft, die unseren Ansprüchen an eine gelungene und faire Stadt gerecht werden. Eine solche Stadtklanggestaltung kann an unterschiedlichen Punkten ansetzen. Sie kann zum Beispiel gezielt Bedingungen für eine angenehme Raumakustik schaffen, indem Vorgaben bezüglich Bebauungsdichte, Oberflächenbeschaffenheit der Fassaden sowie Größe, Abstand und Ausrichtung der Baukörper gemacht werden. Sie kann Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Klangereignissen nehmen, indem Angebote für bestimmte Aktivitäten gemacht oder Voraussetzungen für gewisse Nutzungen geschaffen werden. Um es etwas plakativ auszudrücken: Wer Straßen baut, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Verkehrsrauschen hören. Wer Büsche pflanzt, wird mit Vogelgezwitscher rechnen können, und wer einen Stadtplatz mit Bänken und Cafés errichtet, wird mit einiger Gewissheit eine lebendige Klangkulisse erzeugen. Eine Stadtklanggestaltung kann sogar Anregungen für die Bespielung des städtischen Raums geben, indem sie Vorschläge für temporäre Nutzungen, wie zum Beispiel Wochenmärkte oder Feste macht. Es ist dabei wichtig, dass nicht versucht wird, alles im Detail festzulegen. Vielmehr sollten stets Bedingungen für eine leichte Aneignung durch die Bewohner- und Besucher:innen der Städte hergestellt werden. Letztlich gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, den Stadtklang verantwortungsvoll und gerecht zu gestalten, sie müssen nur genutzt werden.