Gemeine Stadt.

»Home« / Zuhause

Zuhause als flüchtige Praxis. Wohnexperimente

Maja Momić

Während der Veranstaltung „Kapitel 7. >home</Zuhause“ im Rahmen von „Gemeine Stadt“ am 1. Juli 2023 habe ich mit den Teilnehmenden eine Wohnexperiment-Übung durchgeführt. Diese basiert auf den Erkenntnissen der empirischen Forschung im Rahmen meines Dissertationsprojekts über das flüchtige Wohnen1Momić, Maja (2018): Das flüchtige Wohnen? (Wohn-)Alltag von Geflüchteten in Hamburg im Spannungsfeld zwischen Regelwerk und Wohnpraktiken. Bielefeld: transcript Verlag. in Hamburger Unterkünften und darüber hinaus. Darin beschäftige ich mich mit der Frage, wie Geflüchtete – bedingt durch das Zusammenspiel einer Vielzahl von Auflagen und Vorschriften und ihrer Materialisierung an Orten öffentlich-rechtlicher Unterbringung – wohnen und somit die (gemeine) Stadt mitproduzieren.

Durch eine Kombination von architektonischen und ethnographischen Methoden lege ich die verschiedenen Dimensionen des Wohnens – das Rechtliche, das Materielle, das Gelebte – und ihre Wechselwirkungen offen. Dabei steht die Perspektive der Bewohnenden im Mittelpunkt. Im Zuge meiner Forschung konnte ich viele Menschen in ihren Unterkünften besuchen und auf der Wohnungssuche begleiten, ihre Wohnbiografien erfassen und verschiedene Wohntypologien kartieren.

Aus meinem empirischen Material habe ich einige Grundrisse ausgewählt und für die Wohnexperimente-Übung aufbereitet – vereinfacht und anonymisiert. Ergänzt habe ich sie durch fiktive „Wohnungsscheine“, die (ungerechte) Verteilungsmechanismen und Dokumente, mit denen die Wohnungssuchenden in der Realität konfrontiert sind, widerspiegeln.

Während es im ersten Teil der Veranstaltung „Kapitel 7. >home</Zuhause“ darum ging, was ein Zuhause ist, und was es heißt, zuhause zu sein, beschäftigten wir uns im zweiten Teil – u.a. auch bei dieser Übung – mit der Frage, was es bedeutet, ein Zuhause zu haben. Die Idee war, Teilnehmende für die Situation derjenigen zu sensibilisieren, die KEIN Zuhause haben oder sich ein solches immer wieder neu „einrichten“ und auch mit anderen gemeinsam organisieren müssen. Jedem dieser „Wohnungsscheine“ habe ich folgenden Sätze vorangestellt:

„Stellt euch vor, ihr habt alle keine Wohnung mehr. Euch wurde vom Amt diese ‚Wohnung‘ zugewiesen. Ihr habt Glück, denn ihr musstet nicht so lange warten, und die Nettokaltmiete, Betriebskosten und Heizkosten sind im Rahmen, so dass die Miete vom Amt übernommen wird.

Ihr seid jetzt eine Wohngemeinschaft.“

Die Teilnehmenden jeder Gruppe (4-5 Personen) hatten etwa eine Stunde zur Verfügung, um sich gegenseitig kennenzulernen und gemeinsam zu überlegen, wie ein (Zusammen-)Leben in einem zugewiesenen Zuhause aussehen kann. Ein Ausgangspunkt war die Reflektion ihrer jeweiligen bisherigen Wohnbiografie und ihrer Vorstellungen von einem Zuhause, von den Dingen, Routinen und Regeln, die es konstituieren. In kurzer Zeit entstanden sehr intensive Diskussionen zu individuellen Erfahrungen, Bedürfnissen und Raumanforderungen, zur Care Arbeit, zur Sorge um Andere oder zur gemeinsamen Organisation des Alltags. Diese bilden sich in den Zeichnungen ab.

Wohnungsschein 1

  • Euch wurden drei zusammenhängende Räume von insgesamt ca. 70 m² in einer ehemaligen Schule zugewiesen. Auf der Skizze könnt ihr sehen, wie eine fünfköpfige Familie, die vor euch darin gewohnt hat, die Räume aufgeteilt hatte.
  • Eure „Rückzugsräume“ befinden sich im 1. OG. Am anderen Ende des langen Flures befinden sich die gemeinschaftliche Küche, Toiletten und Duschen, die ihr mit anderen Bewohner:innen auf dem Stockwerk teilt. Im Erdgeschoss befindet sich ein Waschraum mit Waschmaschinen und Trocknern. Diese teilt ihr euch nicht nur mit den Hausbewohner:innen, sondern auch mit den Nachbar:innen, die die Wohncontainer nebenan bewohnen.
  • Die Schule befindet sich in der Peripherie. Die nächste Bushaltestelle ist 10 Minuten zu Fuß entfernt, der nächste Supermarkt weitere 10 Minuten mit dem Bus.
  • Ihr dürft zunächst fünf Monate hier bleiben. Dieser Zeitraum kann sich allerdings auch verlängern, solltet ihr nicht in der Lage sein, eine andere Wohnung zu finden. Eine Frau, die ihr in der Küche begegnet, erzählt, dass ihre Familie bereits seit fünf Jahren dort wohnt.
  • Ihr trefft euch in dem größten Raum, um darüber zu diskutieren.
  • Stellt euch bitte gegenseitig vor und wie habt ihr früher gewohnt?
  • Wie organisiert ihr euch in der neuen Wohngemeinschaft? Wie richtet ihr euch an, ohne zu wissen, wie lange die Aufenthaltsdauer hier sein wird?  Wie teilt ihr euch die Räume auf? 
  • Was ist euch wichtig? Wollt ihr einen eigenen Kühlschrank oder eine eigene Waschmaschine anschaffen? Wollt ihr Innenwände ziehen und braucht ihr dafür eine Erlaubnis? Ist es euch wichtig, in der Lage zu sein, Gäste zu empfangen? 
  • Wie wohnt ihr, wenn nicht alles, was ihr braucht, hier reinpasst? Z.B. ist dein Wohnzimmer im Park oder in der Bibliothek?
  • Unter welchen Bedingungen kann das ein Zuhause werden?
  • Schreibt oder zeichnet eure Ideen und Vorschläge in den Plan oder weitere Blätter und hängt sie am Ende an die Wand.

Wohnungsschein 2

  • Euch wurden drei zusammenhängende Räume von insgesamt ca. 45 m² in einer Wohnunterkunft, die aus Container-Modulen besteht, zugewiesen. Eure “Rückzugsräume” befinden sich im EG. Mit weiteren 14 Menschen, die auf eurem Flur wohnen, teilt ihr euch zwei Küchen und Toiletten/Duschen. In einem anderen Container-Block befindet sich ein Waschraum mit Waschmaschinen und Trocknern. Diese teilt ihr euch mit insgesamt 150 Menschen, die diese Wohnunterkunft bewohnen. Die Waschküche ist nur Mo-Fr zwischen 7 und 15 Uhr zugänglich, Waschmünzen könnt ihr nur während der Sprechzeiten des Unterkunftsmanagement mit passendem Wechselgeld erwerben. In demselben Container-Block befinden sich auch Gemeinschafts- und Lernräume, die allerdings auch während der besagten Öffnungszeiten zugänglich sind.
  • Die Unterkunft befindet sich in einem Industriegebiet. Allerdings halten diverse Busse direkt vor der Tür. Ein Supermarkt ist 10 Minuten zu Fuß entfernt.
  • Ihr dürft zunächst fünf Monate hier bleiben. Dieser Zeitraum kann sich allerdings auch verlängern, solltet ihr nicht in der Lage sein, eine andere Wohnung zu finden. Eine Frau, die ihr in der Küche begegnet, erzählt, dass ihre Familie bereits seit fünf Jahren dort wohnt.
  • Ihr trefft euch in einem der Container-Module (ca. 15 m²) um darüber zu diskutieren.
  • Stellt euch bitte gegenseitig vor und wie habt ihr früher gewohnt?
  • Wie organisiert ihr euch in der neuen Wohngemeinschaft? Wie richtet ihr euch ein, ohne zu wissen, wie lange die Aufenthaltsdauer hier sein wird?  Wie teilt ihr euch die Räume auf? 
  • Was ist euch wichtig? Wollt ihr einen eigenen Kühlschrank oder eine eigene Waschmaschine anschaffen? Wollt ihr Innenwände ziehen und braucht ihr dafür eine Erlaubnis? Ist es euch wichtig, in der Lage zu sein, Gäste zu empfangen? 
  • Wie wohnt ihr, wenn nicht alles, was ihr braucht, hier reinpasst? Z.B. ist dein Wohnzimmer im Park oder in der Bibliothek?
  • Unter welchen Bedingungen kann das ein Zuhause werden?
  • Schreibt oder zeichnet eure Ideen und Vorschläge in den Plan oder weitere Blätter und hängt sie am Ende an die Wand.

Wohnungsschein 4

  • Es handelt sich um eine ca. 200 m² große Penthousewohnung, die aufgrund von langem Leerstand dem Eigentümer enteignet wurde. Ihr habt richtig Glück! Da die Wohnung über mehrere Jahre unbewohnt war, sind diverse Renovierungsarbeiten durchzuführen. Die Wohnung befindet sich in einem begehrten innerstädtischen Viertel, wo alles was ihr braucht zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar ist
  • Ihr dürft zunächst fünf Monate hier bleiben. Dieser Zeitraum kann sich allerdings auch verlängern, solltet ihr nicht in der Lage sein, eine andere Wohnung zu finden. Vielleicht bleibt ihr bis zu 5 Jahre eine Wohngemeinschaft.
  • Ihr setzt euch zusammen im großzügigen Esszimmer, um darüber zu diskutieren.
  • Stellt euch bitte gegenseitig vor und wie habt ihr früher gewohnt?
  • Wie organisiert ihr euch in der neuen Wohngemeinschaft? Wie richtet ihr euch ein, ohne zu wissen, wie lange die Aufenthaltsdauer hier sein wird?  Wie teilt ihr euch die Räume auf? 
  • Was ist euch wichtig? Wollt ihr einen eigenen Kühlschrank oder eine eigene Waschmaschine anschaffen? Wollt ihr Innenwände ziehen und braucht ihr dafür eine Erlaubnis? Ist es euch wichtig, in der Lage zu sein, Gäste zu empfangen? 
  • Wie wohnt ihr, wenn nicht alles, was ihr braucht, hier reinpasst? Z.B. ist dein Wohnzimmer im Park oder in der Bibliothek?
  • Unter welchen Bedingungen kann das ein Zuhause werden?
  • Schreibt oder zeichnet eure Ideen und Vorschläge in den Plan oder weitere Blätter und hängt sie am Ende an die Wand.

Wohnungsschein 5

  • Es handelt sich um eine 4-Zimmer-Wohnung mit über ca. 95 m² auf dem 6. OG in einer neu errichteten „Unterkunft mit Perspektive Wohnen“ in der Vorstadt.  Dabei bezieht sich die Perspektive Wohnen nicht auf euch, sondern auf die Wohnungen – diese werden nämlich zunächst als Unterbringung für wohnungslose Menschen, dann als Sozialwohnungen genutzt und in 20 Jahren endlich dem freien Mietmarkt zur Verfügung stehen.
  • Die Wohnung verfügt über einen Balkon mit dem Blick auf eine befahrene Straße, eine Küche, ein Badezimmer, eine Toilette und 4 Zimmer. Das Gebäude wurde vor 5 Jahren errichtet und die Wohnung sollte daher in einem guten Zustand sein. Allerdings haben vor euch 4 Jahre lang 10 Menschen hier gewohnt. Die nächste U-Bahn Station mit dem Bus innerhalb von 5 Minuten – von dort sind es ca. 25 Minuten mit der U-Bahn bis zum Hauptbahnhof. Supermärkte wie „Metro“, „Netto“ und „Aldi“ sind fußläufig erreichbar. 
  • Ihr dürft zunächst fünf Monate hier bleiben. Dieser Zeitraum kann sich allerdings auch verlängern, solltet ihr nicht in der Lage sein, eine andere Wohnung zu finden. Vielleicht bleibt ihr bis zu 5 Jahre eine Wohngemeinschaft. Länger als 5 Jahre dürft ihr hier allerdings nicht bleiben, denn dann bekommt die Wohnung eine neue Perspektive und wird unter einem anderen Belegungsschlüssel vermietet. 
  • Ihr setzt euch zusammen in dem prädestinierten Wohnzimmer, um darüber zu diskutieren.
  • Stellt euch bitte gegenseitig vor und wie habt ihr früher gewohnt?
  • Wie organisiert ihr euch in der neuen Wohngemeinschaft? Wie richtet ihr euch ein, ohne zu wissen, wie lange die Aufenthaltsdauer hier sein wird?  Wie teilt ihr euch die Räume auf? 
  • Was ist euch wichtig? Wollt ihr einen eigenen Kühlschrank oder eine eigene Waschmaschine anschaffen? Wollt ihr Innenwände ziehen und braucht ihr dafür eine Erlaubnis? Ist es euch wichtig, in der Lage zu sein, Gäste zu empfangen? 
  • Wie wohnt ihr, wenn nicht alles, was ihr braucht, hier reinpasst? Z.B. ist dein Wohnzimmer im Park oder in der Bibliothek?
  • Unter welchen Bedingungen kann das ein Zuhause werden?
  • Schreibt oder zeichnet eure Ideen und Vorschläge in den Plan oder weitere Blätter und hängt sie am Ende an die Wand.

Fußnoten