Öffentliche Versammlungen gelten als eine Bedingung für die kollektive politische Auseinandersetzung in und mit der Stadt. Öffentliche Versammlungen selbst werden zu einem zentralen Element des urbanen Kampfes: von der Pariser Commune vor 150 Jahren über die Platzbesetzungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, zum Beispiel die lokalen Asambleas in Madrid (2011), die in New York gestartete Occupy-Bewegung (2011), die Besetzung des Syntagma-Platzes in Athen (2011) oder des Gezi-Parks in Istanbul (2013), bis zum Refugee Camp auf dem Kreuzberger Oranienplatz (2012) oder den Nachbarschaftsversammlungen Kotti & Co am Kottbusser Tor in Berlin (2013).
So verschieden die Anlässe, so divers sind die Beteiligten und die Bedingungen an dem konkreten Ort.
All diese Versammlungen haben aber auch etwas Gemeinsames: Durch die Besetzung öffentlicher Räume mit alltäglichen Nutzungen wird die kollektive Teilhabe an Stadt und Gesellschaft erprobt und eingefordert. Dabei sind egalitäre (in diesem Sinn auch demokratische) Versammlungen keine Erfindungen der „Moderne“. Weit über die Ursprünge der griechischen Agora hinaus, zeigen sich Formen kollektiver gesellschaftlicher Organisation im „öffentlichen“ Raum als die wesentliche Grundlage vieler Kulturen (Graeber 2007, Graeber/Wengrove 2022). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts allerdings erfuhr das Format der Versammlung ein Revival (Davidian/Jeanpierre/raumlabor 2022:11).
Die urbanen Platzbesetzungen der 2010er Jahre sind Geschichte. Im Sommer 2023 finden politische Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum auf ganz andere Art und Weise statt. In chilenischen, iranischen oder französischen Städten richten sich Unruhen und Ausbrüche von Gewalt vor allem gegen Repression, Ausgrenzung, Diskriminierung durch ein machtvolles Herrschafts- und Polizeisystem. Dieses geht mit einer solchen Härte und Schnelligkeit gegen die demonstrativen oder vielmehr spontanen Erhebungen vor, dass keine Zeit bleibt für grundlegende politische Debatten oder gar die Erprobung von Alternativen des urbanen Gemeinwesens.
Die Versammlungen dagegen, um die es in diesem Text geht, funktionieren als Kernelement der Demokratie. Auf ihnen wird die gesellschaftliche Gestaltung der Stadt öffentlich debattiert. Beispielhaft wähle ich drei Momente von Versammlungen aus sehr unterschiedlichen Zeiten und Räumen: Die Pariser Commune Ende des 19. Jahrhunderts reagierte auf eine spannungsgeladene politische Situation, der Widerstand der Pariser*innen wurde zu einem selbstermächtigenden Fest, zu einer räumlichen Aneignung der Stadt für 100 Tage. Bei den Platzbesetzungen in Mexiko, New York, Madrid oder Istanbul zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird die Versammlung zu einer Methode der basisdemokratischen Organisation einer alternativen Gesellschaft, mit eigenen Regeln und Räumen für Diskussionen und Debatten. Und in einem dritten Moment wird die Versammlung selbst zu einer politischen Position, zu einer Haltung, einer Aufführung (enactment) von Citizenship, wie zum Beispiel bei der monatelangen Besetzung des Oranienplatzes in Berlin durch eine diverse Gruppe von Geflüchteten.
Was sind also die Voraussetzungen für diese Zusammenkünfte? Welche Orte, Regeln und Wirkungen haben sie? Wer ist dort sichtbar und hörbar, wer eher nicht, und wie werden Entscheidungen getroffen? Und unter welchen Bedingungen und in welchen Formen entwickeln sich Versammlungen im öffentlichen Raum schließlich zu politischen Akten, die die Stadt verändern? Was haben Versammlungen mit der gemeinen Stadt zu tun?
Versammlung als urbanes Fest
Eine der meistgenannten Referenzen für das Zusammenkommen politischer Subjekte im Öffentlichen sind die viel bemühten Bilder der griechischen Agora, in der sich die städtische Gesellschaft (die Gesellschaft freier Männer!) versammelte, um die Belange der Polis zu debattieren. Demnach lässt sich die Pariser Commune von 1871 vielleicht als eine der ersten städtischen Versammlungen der Industriemoderne bezeichnen. Die Versammlung ist hier ein Format des Protestes, sie eignet sich die Straßen an, aus ihr heraus werden Forderungen an die Regierung gestellt, Regierende und deren Symbole der Macht gestürzt. Ihr Motor ist die Vision einer anderen urbanen Gesellschaft. Der französische Soziologe Henri Lefebvre schreibt, die Pariser Commune sei das erste Fest des Urbanen gewesen (Lefebvre in Baustelle Commune 2002:55).
In seinem Film „La Commune (Paris 1871)“ (Frankreich, 1999) untersucht der britische Regisseur Peter Watkins die Ereignisse in Form eines re-enactments: Die Kulisse des Schwarz-Weiß-Films ist eine große Halle, in die aus Leichtbauwänden labyrinthartige Gassen, Straßenecken und Plätze eingebaut sind. Eine abstrakte Darstellung von Paris im 19. Jahrhundert: die Überreste des bereits von Haussmann gesäuberten mittelalterlichen Stadtkerns, wo zwischen breiten lichtdurchfluteten Boulevards, die der polizeilichen und militärischen Kontrolle dienen, nur noch wenige geheime Versammlungsorte bleiben.1Das Verhältnis von Architektur und Stadtplanung und der Verortung, dem Erfolg oder Misslingen von Versammlungen wäre eine eigene Untersuchung wert. Vielleicht wäre ohne die Säuberung und räumliche Neuordnung des Stadtzentrums von Paris durch Haussmann die Commune nicht gescheitert. „In gut eineinhalb Jahrzehnten wurden unter Haussmanns Ägide rund 20.000 Gebäude abgerissen und doppelt so viele neu errichtet. Ganze Viertel mussten über 150 Kilometer Straßen und großen Boulevards Platz machen, durch die schon bald der motorisierte Verkehr fließen sollte“ (Brüggemann 2020). Und auch militärisch war eine solche Stadtanlage besser zu beherrschen, wie die Auseinandersetzung um die Pariser Kommune 1871 bald zeigte (Ronneberger 2023:20).
Im Film sind die Darstellenden zeitgenössisch gekleidet, sie spielen Arbeiter*innen und Bürgerliche. Sie diskutieren die möglichen Folgen des Ausnahmezustandes und die nächsten Schritte im Widerstand gegen die repressive bürgerliche Zentralregierung: Wer darf sprechen? Wie sich organisieren? Welche Regeln werden gebraucht?
Einer der Höhepunkte des Filmes ist die abendliche Szene auf der Place Internationale, der Sturz der Säule der Macht und die Übernahme der Stadt durch die Kommunard*innen. Ein Fernsehteam – hier lässt Watkins die Medienwirklichkeit des ausgehenden 20. Jahrhunderts ins Historische einbrechen – berichtet live vom Schauplatz des Geschehens, interviewt die sich im Revolutionstaumel befindenden Kämpfer*innen, die pikierten Bürgerlichen, die verunsicherten Militärs: ein Aufruhr, vor allem ein Fest.
Was diesem festlichen Rausch vorausgeht und vor allem was ihm folgt, sind Versammlungen auf den Straßen und Plätzen, Debatten auch um die Neudefinition von Rollen, wie die der Frauen, die auf die Barrikaden gehen, kämpfen und zu den Versammelten sprechen. Sie planen eine neue Gesellschaft und fordern Teilhabe an der Gestaltung der Stadt (Lefebvre in Baustelle Commune 2023:130ff).
In vielen Geschichtsbüchern wird das Scheitern der Commune heraufbeschworen, die erfolgreiche Niederschlagung des Aufstandes, der Tod vieler Revolutionäre, die Verbannung der Überlebenden ins Exil. In anderen Erzählungen wird die Commune als heldenhaftes Ereignis der sozialistischen Arbeiterbewegungen zelebriert (Ronneberger 2021). Nur wenige Texte handeln vom Weitergang der Geschichte, von den Folgen der Commune: Wie beispielsweise Louise Michel, eine der Anführerinnen der Commune, nach 5 Jahren aus dem Exil in Polynesien zurückkehrt und zu einer bedeutenden Anarchistin wird. Auch wenn sie immer wieder verhaftet wird, hört sie nicht auf, auf die Barrikaden zu gehen und vor allem auf unzähligen Versammlungen zu sprechen, auf denen sie die Erfahrungen der Commune weitergibt (Michel 2017).
Zu ihrem 150. Geburtstag im Jahr 2021 erfährt die Pariser Commune eine Renaissance der Aufmerksamkeit: Sie ist zum Symbol kollektiver Selbstermächtigung geworden, und sie gilt als Vorläufer urbaner Demokratie von unten. Die Commune ist ein Beispiel dafür, wie sich aus einem spontanen widerständigen Ausbruch, einem bedingungslosen Fest, kämpferische Versammlungen bilden, wie sich aus der gemeinsamen Erfahrung neue Alltagspraktiken formieren können. Und wie sich, trotz Niederschlagung, diese Alltagspraktiken in kommenden Momenten des Aufruhrs wieder aktivieren lassen.2Wie auch in der französischen Revolution von 1789 meint die Ausrufung der Versammlung nicht unbedingt die Menge auf der Strasse, sondern vielmehr ein politisches Gremium, wie die selbsternannte französische Nationalversammlung. Im Lesen der Protokolle dieser Versammlungen verfolgt Markus Grob, wie langwierig und zäh das Ringen um Entscheidungen war, wie das Sprechen in der Versammlung erst gelernt werden musste (Grob 2005:16ff).
Versammlung als Erprobung einer urbanen Gemeinschaft
Ein anderes Moment der urbanen Versammlungen sind Platzbesetzungen an einem wirkmächtigen Ort der Stadt. Im Zuge meiner ethnographischen Forschungen in Mexiko-Stadt begegnete mir diese Art von Versammlungen auf dem Zócalo, dem Zentrum der Metropole (Wildner 2003). Der Zócalo ist eine freie Fläche zwischen aztekischen Tempelruinen, barocker Kathedrale, Rathaus, Nationalpalast und Luxushotels. Mitte der 1990er Jahre war die Inbesitznahme des Platzes ein fast alltägliches Format des Protestes. Städtische Busfahrer und Krankenschwestern, Zuckerrohrschneider oder Landlehrer*innnen aus weitentfernten Provinzen versammelten sich auf dem Zócalo. Um ihren Forderungen nach höheren Löhnen, besserer Versorgung oder politischer Teilhabe Nachdruck zu verleihen, schlugen die Gruppen oft für mehrere Wochen ihre Zelte auf dem Platz auf. Die Mitte der Stadt wurde zu einem Camp des Alltags: Essen, Schlafen, Wäschewaschen fand auf dem Zócalo statt, als Protest im öffentlichen Raum. Mit der Besetzung ging eine Neuerfindung von Regeln, Alltagspraktiken und gesellschaftlicher Organisation einher. Das sonst tägliche militärische Ritual des Hissens der Nationalfahne musste ausgesetzt werden, der Fahnenmast in der Mitte des Zócalo diente zur Sicherung der Zelte oder als Stütze für die Wäscheleinen. Durch dieses Protestformat wird der Ort der Macht zu einem Ort der Demokratie, der die Möglichkeit einer Versammlung aller bietet – zumindest für einen Moment, bis er meist in den frühen Morgenstunden plötzlich von der Polizei geräumt wird. Durch die Aneignung der Straßen und Plätze, das Besetzen des urbanen Raumes mit den eigenen Körpern (Butler 2016), mit den spezifischen Sets von Alltagspraktiken und temporären Architekturen werden die Normen der politischen wie der urbanen Landschaft in Frage gestellt, unterwandert und suspendiert.
Vergleichbares passierte bei den Platzbesetzungen von Occupy Wallstreet in New York, im Gezi-Park in Istanbul, auf dem Syntagma-Platz in Athen oder auf der Puerta del Sol in Madrid. Die Versammlungen auf den Plätzen und ihr alltägliches Bewohnen werden zu einem politischen Protestformat mit eigenen Architekturen und Kommunikationsregeln. Hier werden neue Formen der Selbstorganisation, der Versorgung und des Caring, der Entscheidungsfindung und Mediennutzung erprobt und gelebt (Tsoumou 2014).3In dem Projekt „The Art of Being Many“ erforschte die geheimagentur im Rahmen eines mehrtägigen Theaterprojektes auf Kampnagel die Werkzeuge, Methoden und Inszenierungen von Versammlungen und der real democracy movements (geheimagentur 2016). Diese Art der Versammlungen lassen sich als infrastrukturelle Materialität, als Archiv politischer Positionen und als Methode von sozialer Organisation beschreiben (Corsin/Estalella 2014).
Einige dieser öffentlichen raumgreifenden Versammlungen wurden mit aller Härte niedergeschlagen. Andere Platzbesetzungen produzierten Momente der Selbstermächtigung (Occupy), die in der Erfahrung aktueller Proteste wie in den Kämpfen der Klimaaktivist*innen gegen die Abholzung des Hambacher Forstes oder in den Aktionen von Ende Gelände weiterleben (Mörtenböck/Mooshammer 2012). Die Asambleas in Madrid führten gar zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse in der Lokalpolitik. Sie mündeten in eine munizipalistische Plattform, die von 2015 bis 2019 in Madrids Rathaus mitregierte.4Siehe Interview mit Ana Méndez de Andés: „Places and Plenarias”.
Diese Art von Versammlungen lassen sich als demokratische Innovation lesen, als Regierungstechnik (technology of government), als Format einer partizipativen und deliberativen oder auch direkten Demokratie (Davidian/Jeanpierre/raumlabor 2022:13, Burri et al 2014). Die Prinzipien der Versammlungen lassen sie sich zwar nicht ohne weiteres in die Verwaltungsapparate integrieren, aber sie bleiben doch als Werkzeuge präsent, als ein Erfahrungswissen, das sich womöglich zu gegebener Zeit wieder abrufen lässt.
Versammlung als politisches Format der Teilhabe
Ein drittes Beispiel zeigt, wie die öffentliche Versammlung selbst, das performative Ereignis, als Form der demokratischen Teilhabe an der urbanen Zivilgesellschaft gelesen und dementsprechend inszeniert werden kann (Hildebrandt et al 2019).5Siehe auch die einzelnen Forschungsprojekte im Rahmen des Graduiertenkollegs Performing Citizenship (2015-2018) in Hamburg. Dabei geht es allerdings nicht so sehr um die Präsenz auf offiziellen politischen Bühnen, sondern vor allem um die Prozesse der Aushandlung von Öffentlichkeiten, um Sichtbarkeit und vielgestaltige Aufmerksamkeit, um alternative Formen des (selbstorganisierten) gesellschaftlichen Zusammenlebens und damit der demokratischen Teilhabe.
Das Beispiel ist die Besetzung des Oranienplatzes im Berliner Stadtteil Kreuzberg: Nach einem Protestmarsch quer durch Deutschland und Hungerstreiks am Brandenburger Tor etablierten Refugees auf dem Platz im Herbst 2012 ein Protestcamp. Die Protestierenden forderten die Abschaffung der Residenzpflicht, die Möglichkeit, sich frei an dem Ort ihrer Wahl zu bewegen und Teil der Stadtgesellschaft zu werden. Über Monate lebten die Geflüchteten auf dem Oranienplatz, organisierten ihren Alltag, verbündeten sich mit Unterstützer*innen und adressierten die städtische Öffentlichkeit mit ihren Forderungen.6Siehe hierzu u.a. Napuli Langas Beschreibung der Selbstorganisation auf dem Oranienplatz.
Auf der Basis der Platzbesetzung eigneten sich einige der Aktivist*innen einen weiteren Ort an. Sie nahmen die leerstehende Gerhart-Hauptmann-Schule in Besitz, die so zu einem Verhandlungsgegenstand zwischen Protestbewegung und Stadtpolitikern wurde. Im Laufe dieses Prozesses schlossen sich geflüchtete Frauen*, Migrant*innen und nicht-migrantische Frauen* zusammen und gründeten in der Schule den International Women Space, eine feministische, antirassistische politische Gruppe.
Nach der Räumung des Gebäudes arbeitete der International Women Space (IWS) weiter und gründete 2017 einen eingetragenen Verein. Bis heute kämpfen die Frauen* vom IWS aktiv gegen das Patriarchat, dokumentieren alltägliche Gewalt, Rassismus und Sexismus und unterstützen marginalisierte Stadtbewohner*innen.7Siehe hierzu auch das Video „Intersektionale Kollektivität“ und weitere Clips von Denise Garcis Bergt.
10 Jahre nach der Besetzung des Oranienplatzes und der Gerhart-Hauptmann-Schule organisierte der International Women Space 2022 wieder eine Versammlung auf dem Oranienplatz: Für eine Woche veranstaltete der IWS Zusammenkünfte, Diskussionen und Feste.8Siehe O-Platz wird 10 – Baustelle Migration. Hier ging es allerdings nicht etwa darum, lokale Administrationen auf sich aufmerksam zu machen und darum zu werben, von ihnen akzeptiert zu werden, sondern sich sicht- und hörbar im öffentlichen Raum als Teil der städtischen Gesellschaft zu positionieren und sich mit dem eigenen Kampf gegen Diskriminierung in die Stadtgesellschaft einzuschreiben.
Diese Versammlungen im öffentlichen Raum transformieren die Straßen und Plätze nicht nur zu einer für alle sichtbaren Bühne, auf der Forderungen gestellt werden, sondern sie „verwandeln sie in temporäre Orte städtischer Bürgerschaft“ (Lanz 2016:489). Eine Versammlung stellt einen zeitweiligen Raum dar, in dem das Recht, zu sprechen und gehört zu werden, verhandelt wird. Die Versammlung selbst – als selbstermächtigte Aktion marginalisierter Nicht-Staatsbürger*innen – wird zu einem politischen Akt der Teilhabe an der Stadt.
Versammlung als urban citizenship
Ähnlich wie bei Demonstrationen, aber auch beim hedonistischen Cornern, wird in allen oben beschriebenen Versammlungsmomenten die Teilhabe an Stadt gefordert. Gleichzeitig geht es in diesen temporären Versammlungen aber immer auch um die gemeinsame Gestaltung von urbanen Räumen und das Ausüben politischer Gemeinschaft.
Durch die unterschiedlichen Formen der Aneignung öffentlicher Räume, das Besetzen oder Bewohnen von Plätzen, die raumgreifende Anwesenheit von Körpern, das öffentliche Aushandeln von Alltagspraktiken in temporären Architekturen werden gleichermaßen die Normen der politischen wie der urbanen Landschaft in Frage gestellt, unterwandert und suspendiert. Der öffentliche Raum ist nicht nur eine Bühne, sondern vor allem der Gegenstand der Auseinandersetzungen. Durch die alltäglichen Handlungen auf und kollektiven Aneignungen von öffentlichen Plätzen konstituiert sich eine Teilhabe an Stadt und damit auch Stadt selbst. Mit Engin Isin lassen sich die unterschiedlichen Formate der hier beschriebenen Versammlungen als „acts of citizenship“ lesen (Isin 2017).
Auch wenn sich die Versprechen auf eine Demokratisierung von unten nicht eingelöst zu haben scheinen, tatsächlich viele Versammlungen auch im 21. Jahrhundert brutal niedergeschlagen wurden und sich die repressive Herrschaft an vielen Orten verstärkt hat, gilt es doch, die Momente der Versammlungen auf den Plätzen als das Erproben demokratischer Praktiken städtischer Bürgerschaft zu lesen, diese weiterzuerzählen und einzuschreiben in das Repertoire des gemeinen Wissens über Stadt, das immer wieder ausgegraben und aktiviert werden kann.
Literatur
Film